Von Anfang an stritten zwei Grundrichtungen innerhalb und außerhalb der Partei um die Gunst der Arbeiter, nämlich die marxistische Seele und die an den preußisch-nationalstaatlichen Interessen Lassalles orientierten Sozialismusvorstellungen.
Dieser Konflikt ist im Grunde bis heute nicht ausgestanden. Die SPD hat viel zu oft – und auch heute wieder – den falschen Weg gewählt, um sich aus den Umklammerungen, die die Partei schier erdrücken, zu befreien.
Die Biografie der SPD war von Anfang an gebrochen. Sie, die gerade erst Bismarcks Sozialistengesetze überstanden hatte, bewilligte 1914 Wilhelm II. die Kriegskredite. Die SPD wollte nicht als „vaterlandslose Gesellen“ dastehen. Heute verwehrt sich die SPD zwar dagegen, „alte Europäer“ zu sein, tut aber alles Mögliche, diese Vorwürfe der Amerikaner an Deutschland zu entkräften. Von den Krankenhäusern in Somalia bis zu inzwischen für möglich gehaltenen Kampfeinsätzen der Bundeswehr in Südafghanistan verging eine bemerkenswert kurze Zeitspanne. Die benötigten „Hilferufe von Freunden“, auf die man dann angeblich nur wartete, werden so sicher erfolgen wie das Amen in der Kirche. Ausgerechnet die SPD macht sich zum Vorreiter von Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Ausland. Es ist nicht zu fassen.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war es dann ein SPD-Reichspräsident (Friedrich Ebert), der Arbeiter zusammenschießen ließ. 15 Jahre später war es dann allerdings auch die SPD, die als einzige Partei gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz stimmte. Zugestimmt haben andere wie zum Beispiel der spätere erste Bundespräsident „Papa Heuss“ (ich weiß, dass das jetzt schon fast Blasphemie ist) und die Vorgängerpartei der CDU in der Weimarer Republik, nämlich das damalige Zentrum. Dieses Zentrum verschaffte Hitler die benötigte 2/3-Mehrheit. Der spätere erste Bundeskanzler der Bundesrepublik und damalige Kölner Oberbürgermeister hat als Mitglied dieses Zentrums auch zugestimmt. Hieraus hätte man doch auch eine Frage für den Einbürgerungstest machen können, zum Beispiel:
a) die SPD
b) die KPD
c) die Vorgängerpartei der CDU in der Weimarer Republik, das damalige Zentrum
Nach dem nächsten verlorenen Weltkrieg sah es dann zunächst so aus, als ob die Parteien tatsächlich etwas aus der Geschichte gelernt hätten. Sogar die CDU in der damaligen Trizone („Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien...“) kam mit ihrem Ahlener Programm / Düsseldorfer Leitsätze von 1947 zu der Überzeugung, dass der Kapitalismus nicht unbedingt die beste Wirtschaftsform ist, die man sich für den arbeitenden Menschen vorstellen kann. Mit Lichtgeschwindigkeit hat die CDU dieses Programm dann aber in den Schubladen verschwinden lassen.
Auch die SPD hat sich mit dem Godesberger Programm 1958 endgültig von Marx verabschiedet – ein historischer Fehler. Denn mit diesem Programm ist die SPD zu einer Interessenvertretung des Kapitals verkommen. Das fiel zunächst nicht weiter auf. Die Wirtschaft florierte – kein Wunder. In Deutschland stand kein Stein auf dem anderen. Es gab Arbeit in Hülle und Fülle. Der Arbeiter konnte sich seinen VW Käfer kaufen und bald darauf auch nach Italien in den Urlaub fahren. Zwar konnten damals schon kaum Arbeiterkinder studieren, aber man wäre auch nicht auf die Idee gekommen, dass sie studieren könnten. Heute läuft die Geschichte gleichsam rückwärts ab. Auch „dank“ der SPD können immer weniger Arbeiterkinder studieren. Die Geldelite hat auch gar kein Interesse daran, diesen ein Studium zu ermöglichen. Das weiß übrigens die ganze Welt, nur Deutschland tut ahnungslos. Die gut bzw. „normal“ bezahlten Arbeitsplätze werden knapp. Da möchte unsere Geldelite nicht auch noch Arbeiterkinder als Konkurrenz zu ihren eigenen Kindern dulden.
Wie tief die SPD inzwischen gesunken ist, kann man an den Worten von Schröders Großwesir (das ist der, dem wir die Rentenkürzungsformel „Rente mit 67“ zu verdanken haben) ermessen. Als immer klarer geworden war, was die SPD mit Hartz IV angerichtet hatte, meinte Müntefering feststellen zu müssen, dass es in dieser Gesellschaft keine Schichten und Klassen, sondern nur Leute gäbe, die es schwerer haben. Wohlgemerkt: So etwas sagte der damalige SPD-Parteivorsitzende.
Jetzt, wo eine echte Arbeiterpartei (Die Linke) sich mit erheblichem Erfolg auf der politischen Bühne etabliert hat, ist vielerorts das Geschrei groß. Dabei hat Die Linke ganz einfach nur den Platz eingenommen, den die SPD freiwillig und bei vollem Bewusstsein geräumt hat. Und deshalb ist Die Linke bei genauer Betrachtung eigentlich nur eine Abspaltung der SPD, gerade so, wie es die USPD nach dem Ersten Weltkrieg war. Diese USPD stand allerdings erheblich weiter links, als man es von der Partei Die Linke behaupten könnte. „Alles Kommunisten“ im Bezug auf diese Partei ist eigentlich nur eine erschrockene Reaktion der etablierten Parteien darauf, dass die kleinen Leute jetzt auch eine Lobby haben, und zwar eine, deren Erfolgsgeschichte gerade erst beginnt.
Die SPD sollte endlich damit aufhören, sich zu Sirenengesängen hingezogen zu fühlen, die vorgeben, die SPD vor der Partei Die Linke warnen zu wollen. Bei Homer kann man nachlesen, wie man sich am besten vor Sirenengesängen schützt: Wachs in die Ohren stecken und sich notfalls für die Dauer der Gefahr festbinden lassen.
Kurz gesagt: Wenn sich die SPD nicht endlich darauf besinnt, wer ihre natürlichen Verbündeten sind – und damit hat sie schon seit über 100 Jahren Probleme –, wird sie untergehen. Und wenn ihr Marx weiterhin suspekt ist, so sollte sie sich doch wenigstens an Lassalle halten, dem an seinem Totenbett dieses Lied gesungen wurde:
Nicht die Gefahren all':
Der kühnen Bahn nur folgen wir
Die uns geführt Lassalle
Mir scheint, dass die SPD doch deutlich von dieser „kühnen Bahn“ abgekommen ist. Hartz IV mit der Verkürzung der Bezugsdauer des ALGs I von 32 auf jetzt maximal 24 Monate, ein Bildungssystem, das Arbeiterkinder faktisch von der Bildung ausschließt, mehr als nur fragwürdige Kriegsspielereien, ein Gesundheitssystem, das die Armen mit subtilen Mitteln vom Arztbesuch abhält, während gleichzeitig der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach Krokodilstränen weint, und das Feiern einer angeblichen Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, die doch in Wahrheit nur auf massenhafte Vermehrung von Leih- und Zeitarbeit beruht, sind nur einige wenige Beispiele dafür, was die SPD in den letzten Jahren angerichtet hat. Die Folgen sind eine sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich – das dürfte nach den Jubelmeldungen über den Arbeitsmarkt doch gar nicht sein –, eine in ihren Ausmaßen noch gar nicht abzuschätzende Altersarmut, die auf uns zukommt, und eine skandalöse Kinderarmut.
Die gesellschaftliche Sprengkraft, die in alldem steckt, scheint vielen gar nicht bewusst zu sein – oder doch? Hängen damit vielleicht Pläne für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern zusammen? Dann wären wir genau da, wo wir gegen Ende der Weimarer Republik schon einmal waren, mit den bekannten Folgen.
Man kann sich eigentlich nur wundern, dass trotzdem noch jeder vierte Wähler zurzeit die SPD wählen würde.
Es wird wohl Mitleid sein.
edit: Einrückung vergessen
Dieser Beitrag wurde von W@yne bearbeitet: 14. Juli 2008 - 17:14